Es gibt sicherlich 100 Gründe dagegen. Aber es gibt einen Grund dafür. Einen sehr guten Grund.

Eine Vorbemerkung: Mut oder das Vertrauen in Glück

Bikepacking durch die Highlands? Alleine? Als Frau??? Viele schütteln den Kopf. Nein, ich bin nicht leichtsinnig, und ehrlich gesagt bin ich nicht mal sonderlich mutig. Ich bin jedoch totale Optimistin und habe ein unglaubliches Vertrauen in Glück. Sicher kann man über verschiedene Probleme nachdenken, die auftreten können, und ich kann euch sagen: Es wird immer auch Probleme geben. Aber ich habe die Erfahrung gemacht: Es gibt eigentlich immer eine Lösung. Vielleicht habe ich da bisher besonders viel Glück gehabt – aber das gibt mir ein großes Vertrauen in das, was ich tue, und die Gelassenheit und den Optimismus auch in kritischen Situationen zu bewahren. Und das, was man erlebt, ist wirklich Glück.

Holpriger Start in die Highlands

Ich muss sagen, es ging echt nicht gut los. Ich hatte mein Gepäck so weit reduziert, dass ich wirklich nur das ALLERNÖTIGSTE dabei hatte. Flughafen Frankfurt, 2:30 Uhr nachts. Mir fällt auf, ich habe eine Radtasche vergessen. Und zwar die, in der mein komplettes Werkzeug, Powerakku, Klebeband und sonstiger Schnickschnack war. Jetzt versuch mal, ein Rad ohne Werkzeug und ohne Klebeband zu verpacken. Also ich muss sagen, der Frankfurter Flughafen hätte durchaus die räumliche Kapazität für ne kleine Werkstatt (zwischendurch dachte ich, ob der CheckIn zwar in Frankfurt, das Gate aber doch in Hahn ist…) – sämtliche Versuche, zumindest die Pedale mit den Händen zu lösen, sind kläglich gescheitert. Ich dachte schon, das ganze Vorhaben floppt jetzt schon am Flughafen, da kommt ein Engel von Flughafenmitarbeiter daher (“Das kriegen wir hin!” – DANKE!!!!), organisiert ein paar Reste Klebeband und packt mit mir das Rad ein. Ich habe zwar ein Bike noch nie so schlecht verpackt (uh, das Schaltwerk könnte nicht überleben), aber tatsächlich kam alles heil an, und das Bike war noch nie so schnell wieder zusammengebaut! Ohne Schlaf, mit kurzem Zwischenstopp in Glasgow (immerhin noch ein neues Multitool gekauft), ging es direkt weiter mit dem Zug in die Highlands nach Aviemore.


Stage 1: Wertvolle Erkenntnisse zwischen Scones und Moor-Trails

Meine Zeitplanung war ambitioniert, das wusste ich. Meine geplante Route war knapp 300km lang und für 4 Tage angesetzt, dank Vorverlegung meiner Zug-Rückfahrt hatte ich jedoch nur 3,5 Tage Zeit. Aber ich dachte mir, das klappt schon. 85km am Tag und der Hase läuft – ist ja lange hell so weit im Norden.

Gegen 15 Uhr startete ich dann nach Verköstigung diverser Pastries bei leichtem Nieselregen in Aviemore, 50km könnten noch drin sein, dachte ich. Jahaaa. Die ersten Kilometer liefen echt gut, Rückenwind, Schotterpiste… Und dann kam der erste Trail. Ich dachte erst, meine App hätte sich vertan mit der Navigation. DA (!!!) rein??? Auf dem schmalen Trail ging es durch dichtes Gebüsch, dann richtig ins Hochland, und ich hatte kurz das Gefühl, dass ich mir doch zu viel zutraue. Die ersten Flüsse mussten durchquert werden (merke: die meisten Flüsse sind NICHT fahrbar!!!), und ich war echt dort angekommen, wo ich hin wollte: In the Middle of Nowhere. Schon am ersten Tag haute meine Zeitplanung nicht hin. Es gibt nämlich einige Zeitkiller, wie ich feststellte:

  • Zeitkiller 1: Flüsse. Brücken gibt es in der Regel nicht. Find mal ne gute Stelle, dass du nicht direkt am ersten Tag drin liegst. (je nach Fluss: +5 bis +15Minuten)
  • Zeitkiller 2: Navigations-Fails. Schön, wenn man bergab mal Flow hat, und unten feststellt, man hätte oben irgendwo links gemusst… (worst case: +30 Minuten)
  • Zeitkiller 3: Hunger. (+…. hm… Dauerzustand)Zeitkiller 4: Unkoordiniertes Rumirren durch Moor und Sumpf. Kann passieren, dass man ne halbe Stunde durchs Moor stapft, auf der Suche nach dem Trail. Gerne auch mal im Kreis.

Nach 42km und knapp 5h baute ich dann das Zelt auf einer Wiese mit tollem Ausblick aufs Hochland auf, und war (da mittlerweile seit 36h wach) ratzfatz eingeschlafen.


Stage 2: Hike-a-bike oder: Jeder Fluss hat etwa 50 Seitenarme. Pro Kilometer.

Ich fühlte mich ausgeschlafen und voller Energie. Zelt auf, und erschrak über die graue Suppe draußen. Das Problem lag darin, dass mein Handy noch genau 36% Akkuladung hatte, und dank fehlendem Powerakku war ich auf mein Solarpanel und damit auf Sonne angewiesen. Wäre auch noch nicht schlimm gewesen, wenn nicht mein Handy meine einzige Navigationsmöglichkeit gewesen wäre, und ich nicht mitten in der Pampa gewesen wäre. Im Nachhinein dachte ich, dass ich zumindest in Aviemore hätte ne Karte kaufen können, aber die ganz cleveren Geistesblitze kommen mir manchmal 2 Tage zu spät. Aaaaber Petrus hatte Einsehen, die Wolken und der Nebel verzogen sich, und die Sonne versorgte mich mit bester Energie!

Nach viel Piste und ein paar Trails durch traumhafte Landschaften und durch völlige Einöde hatte ich gegen Mittag einen Schreckmoment, als ich beim Wasser holen am Fluss dachte, dass meine Navigationstante sich schon lange nicht mehr zu Wort gemeldet hatte. Hoffentlich war ich noch richtig. Das Handy hatte ich zum Laden an das Solarpanel angeschlossen, und als ich zurück am Bike war, sah ich das Ladekabel friedlich aus der Tasche baumeln – friedlicher hätte ich es allerdings gefunden, wenn an dem Ende auch mein Handy gebaumelt hätte. WTF!!! Das wäre jetzt tatsächlich schlecht. Also, umdrehen, zurück. Aber auf mein Glück ist Verlass:

Keine 500m weiter sah ich das Handy auf dem Boden liegen. Puh… Ich dachte wieder an die Sinnhaftigkeit einer analogen Karte…

Am Nachmittag bog ich auf den “Inner Circle” ab. Ich hatte zwar gelesen, dass der deutlich anspruchsvoller war als der Rest, aber bisher war ja alles fahrbar gewesen, von daher: Kein Grund zur Beunruhigung. Der Trail verlief parallel zu einem größeren Fluss, und nach wenigen Kilometern machte ich die Erfahrung, was “Hike-a-bike” eigentlich bedeutet. Der Trail an sich war schon echt knackig, ziemlich viele große Steine und Felsen, dazu kam, dass ständig kleine Bachläufe als Seitenarme des Flusses gequert werden mussten – die ersten 10 waren noch ganz witzig, danach wurde es zäh. Die Bäche an sich sind ja das Eine, aber dass die Konsistenz des Bodens vor und hinter dem jeweiligen Bach auch nicht unbedingt zum Biken einlädt, kommt erschwerend dazu. Und die Phasen “hinter dem Bach” und “vor dem nächsten Bach” gehen teilweise nahtlos ineinander über. Zwischendurch dachte ich mal, ob ich es auch schaffen würde, mich selber wieder an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen… (jaja, zu viel Sonne abgekriegt…)

Ein wenig riskant wurde es dann, als es am Steilhang an einer Schlucht entlang ging. Einmal mehr lobte ich meine Entscheidung gegen Radschuhe und für Klettersteigschuhe und Flat-Pedals, weil es echt nicht ohne ist, mit beladenem Bike an Felsen entlang zu kraxeln. Nach fast 12 Stunden (4h für die letzten 8km…) erreichte ich einen wieder wunderschönen Platz direkt am Fluss, und entschied, dort zu übernachten.


Stage 3: Muskelaufbau Sumo-Edition und zittrige Knie: Absolut am Limit

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mir noch nicht klar, dass das der krasseste , aber auch schönste Bikepacking-Tag meines Lebens werden würde. Strahlend blauer Himmel! Es startete schon mehr als herausfordernd mit einem ausgesetzten Wanderweg entlang des Feshie-Rivers, mit Stellen, an denen ich dachte: Das kann nicht gehen. Aber: Es musste gehen. Und es ging. Zwar langsam und mit größter Vorsicht, und anstrengend, nach einer Flussquerung beinahe senkrecht mit Bike das andere Ufer hinauf zu klettern. Elegant sah das glaube ich nicht aus, aber: sieht ja keiner!

Nachdem ich irgendwann über eine Brücke (yeah!) das andere Ufer des Feshie Rivers erreicht hatte, sah ich das Warnschild, das vor Nutzung meines gerade zurückgelegten Weges warnte. Okay, merke ich mir für nächstes Mal (dreimal den wirklich stark wasserführenden Feshie zu furten, hätte ich aber auch nicht so attraktiv gefunden)…

Nach einem kleinen Ausflug in die Zivilisation (so ne Art Naherholungsgebiet…) gegen Mittag sehnte ich mich schnell wieder nach Ruhe und Einsamkeit. Die sollte ich bekommen: Immer weiter ging es zurück in die Highlands bergauf Richtung Cairngorms Gipfel. Erst noch fahrbar, später war Schieben angesagt. Dank unglaublich schönem Panorama aber halb so tragisch. Ich erreichte den Pass (dachte ich zumindest), querte ins nächste “Tal”, und versuchte, so viel wie möglich zu fahren. Mein Papa hat mir früher mal gesagt: “Katrin, egal was kommt, du musst immer weiter treten!” Wow, ich holperte über riesige Steine, aber ich fuhr! Mit Gepäck war das eine riesige Herausforderung vor allem an die Balance – so technische Passagen war ich bisher nicht mal ohne Gepäck gefahren.

Lange ging das allerdings nicht gut, da der “Weg” immer verblockter wurde und auch wieder steiler bergauf ging. Nach einer Mittagspause (mist, ich hatte so Hunger, dass ich mein Abendessen vorziehen musste) ging es dann nur noch schiebend oder tragend weiter. Puh. Ich bin ja in der Regel sehr ausgeglichen, aber die Anstrengung, die ich dort erlebt habe, brachte mich echt an die Grenze. Stundenlang keine Chance zu fahren. Das Bike ist ja auch nicht gerade leicht, und ich musste alle 10 Meter eine Verschnaufpause machen. Ich sage euch: Es ging richtig voran. Ich fragte mich, wer eigentlich diese bescheuerte Idee hatte, hier mit dem Bike rüber zu wollen. Ich fragte mich, ob ich morgen im Schultergürtel die Muskulatur eines Sumoringers haben würde. War das anstrengend.

Am späten Nachmittag hatte ich dann tatsächlich den Pass erreicht. Der dann folgende Downhill war die vielleicht schönste, aber auch forderndste Bike-Erfahrung bisher. Ein traumhaftes Panorama, aber immer noch sehr verblockt. Bergab schieben müssen ist aber moralisches Gift für Mountainbiker. Ich hatte etwas Sorge, ob das Bike das überstehen würde, weil ich nicht immer die allerbeste Linie erwischte, aber das Canyon fuhr sich trotz Gepäck derart ruhig, souverän und trotzdem wendig über alle Hindernisse, dass es echt Spaß gemacht hat! Unten hatte ich dann wirklich zittrige Knie und absolut leuchtende Augen!

Problematisch war, dass ich am nächsten Abend zurück in Aviemore sein musste, und das noch 130 Kilometer waren. Ich wollte am letzten Tag eigentlich nicht mehr als 70km fahren müssen – man weiß ja nie, was so kommt. 18 Uhr, mental und konditionell echt fertig – heute noch 60km, totaaal realistisch (ich hatte heute auch erst 48km seit heute morgen um 8…). 2 Stunden Schotterpiste später und 105km vor Aviemore war der schönste Ort, um noch in der Sonne das Zelt aufzubauen. Was für ein traumhafter Zeltplatz. Die Schönheit der Natur, die Ruhe, die Friedlichkeit, versetzen mich in einen Zustand, der mir Tränen in die Augen treibt. Wie glücklich und dankbar war ich, so etwas erleben zu dürfen. Noch bis 23 Uhr war ich draußen, Musik an, und in die Dunkelheit tanzen (sieht ja keiner!


Stage 4: Mit rohen Nudeln und letzter Kraft nach Aviemore

Es war die zweitkälteste Zeltnacht, die ich bisher erlebt habe. Ich hatte Daunenjacke und Winterbuff im Schlafsack an. Trotzdem bin ich ständig aufgewacht, weil ich richtig gefroren habe. Was macht man, wenn einem so kalt ist? Bewegen. Da war ich endlich mal froh, dass ich alleine im Zelt lag, so gab es wenigstens keine Konflikte bei meinen Lieblings-Schlafsack- Aufwärme-Übungen “Fahrradfahren in der Luft” und “Liegesprints” …

Um 5 Uhr überwand ich mich zum Aufstehen – die anstehenden 105km machten mir doch etwas Sorgen. Zwar versprach der Sonnenaufgang wieder bombastisches Wetter, da es aber zu kalt war, um auch nur an gemütliches Frühstück zu denken, packte ich zügig alles zusammen und machte mich auf den Weg. Wie immer, ging es zuerst ein paar Mal durch den Fluss. Und zwar immer durch denselben. Ich frage mich ernsthaft, ob nie jemand über die Möglichkeit nachgedacht hat, den Weg am sich schlängelnden Fluss seitlich entlang zu führen, statt mitten hindurch, sodass man in jeder Schleife zweimal furten muss. Aber vielleicht denke ich da zu praktisch. Die ersten 12km waren wieder sehr technisch, und ich war echt platt und hundemüde.

Da ich wegen fehlender Konzentration keinen Sturz riskieren wollte, war ich sehr vorsichtig – und damit noch langsamer. Ich dachte, ich schaffe es nie bis nach Aviemore. Doch dann, wie ein Wunder, kam tatsächlich plötzlich eine Asphaltstraße. Hätte ich nicht gedacht, dass ich mich beim Biken mal über Asphalt freue! 20km Asphalt, es rollte, aber mein Körper war trotzdem wie gelähmt. Noch 50km bis Aviemore. Ich wusste allerdings auch: Für 50km kann man hier 3 Stunden brauchen, aber auch gerne mal 8 – Kilometer haben gar keine Aussagekraft.

Glücklicherweise kamen zwar noch Trails, die aber alle fahrbar waren, und irgendwann wusste ich: Ich werde es schaffen. Der Hunger meldete sich wieder, und ich suchte eine windgeschützte Stelle für meine letzte Notportion Nudeln. Leider merkte ich, dass meine Gaskartusche leer war. Hrrrgggh. Ich musste was essen. Ich kann euch sagen, Nudel-Fertiggerichte in kaltem Wasser einzuweichen, ist echt nur ne Notlösung. Seeeehr crispy und absolut NICHT lecker.

Aber: Nach den Knusper-Nudeln hatte ich echt nochmal Power, auf den letzten Kilometern habe ich meine Durchschnittsgeschwindigkeit erstmals in den zweistelligen Bereich gepusht (und ja: Ich fühlte mich schnell!!

Nach insgesamt etwas über 300km erreichte ich Aviemore, jiiiihaaaa!!!! Nach einer heißen Dusche führte mein Weg direkt in den nächsten Fish-and-Chips-Shop, von dort in den Supermarkt (Familienpackung Pastries – genug rationiert in den letzten Tagen!!!) und dann noch in die Tankstelle (Eiiiiis!!!), und dann stellte sich so langsam ein Sättigungsgefühl ein. Ich war glücklich und stolz, es geschafft zu haben – und ja, es gab Momente, in denen ich wirklich daran gezweifelt habe!


Lonesome in the Highlands…

Es ist aber nicht nur die körperliche Herausforderung. Alleine unterwegs zu sein, in einer Gegend, in der man in der Regel auch kaum Menschen trifft, in der man wirklich mit der Natur alleine ist – erstmal ein komisches Gefühl. Ich habe bewusst auch mein Handy im Flugmodus gelassen, weil ich mich dem Gefühl der Ruhe aussetzen wollte. Keine Kommunikation zur Außenwelt, keine Erreichbarkeit. Es ist sehr entschleunigend. Die Gelegenheit, einfach abends mal am Fluss zu sitzen, ohne irgendwas zu machen. Zwei Stunden lang. Und nein: Es wird nicht langweilig. Alleine mit so etwas unfassbar Mächtigem wie der Natur zu sein…Man fühlt sich sehr klein. Und die Gänsehaut kommt nicht nur von der Kälte.

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